Home » Laudatio als Nachruf für Prof. Irena Veisaitė 1928-2020

Laudatio als Nachruf für Prof. Irena Veisaitė 1928-2020

Am 11. Dezember 2020 ist Prof. Irena Veisaitė an Covid-19 verstorben. Sie bekam am 23. Juni das in der Litauischen Martynas-Mazvydas-Nationalbibliothek Litauens das Große Verdienstkreuz überreicht.

v. l. : Prof. Dr. Ruth Leiserowitz, Valdas Adamkus Prädsident a.D., Prof. Dr. Irena Veisaitė

Der höchste Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland wurde Frau Prof. Irena Veisaitė auf Anordnung des Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. März 2020 verliehen, die feierliche Überreichung der Ordensinsignien wurde jedoch wegen der Quarantäne verschoben.

Die Laudatio auf die Preisträgerin, die wir jetzt zum ersten Mal veröffentlichen, hielt Frau Prof. Dr. Ruth Leiserowitz, eine ihrer Nachfolgerinnen im Vorsitz des Kuratoriums des Thomas-Mann-Kulturzentrums.

Laudatio auf Prof. Dr. Irena Veisaitė

Die Germanistin und Theaterwissenschaftlerin Irena Veisaitė gehört zu den herausragenden Intellektuellen Litauens. Als jüdisches Kind wurde sie während der deutschen Besatzung in Kaunas im Ghetto inhaftiert. Dank litauischer Freunde ihrer Eltern konnte sie gerettet und in einer litauischen Familie versteckt werden. Ihre Pflegemutter wurde jedoch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Sibirien verbannt. Irena Veisaitė legte ihr Abitur in der sowjetlitauischen Republik ab und ging dann nach Moskau um Germanistik zu studieren. Von 1953 bis 1997 lehrte sie an der Pädagogischen Hochschule Vilnius, westeuropäische und deutsche Literaturgeschichte.
1963 wurde sie in Leningrad mit einer Arbeit über die späte Lyrik Heinrich Heines promoviert. Dann arbeitete sie neben ihrer Lehrtätigkeit auch als Theaterkritikerin und publizierte zahlreich. Schon damals gehörte die Germanistin zu den Intellektuellen, die kontinuierlich die Vermittlung deutscher Kultur und Literatur in der Litauischen Sowjetrepublik förderten, sich aber ebenfalls in aktuelle politische Debatten einmischten. So unterstützte die Professorin auch die Ende der 1980er Jahre entstehende Erneuerungsbewegung Sąjūdis. Als Litauen im Frühjahr 1990 seine Unabhängigkeit wiedererlangte, gründete sie gemeinsam mit  Česlovas Kudaba  die erste Soros Stiftung im östlichen Europa, den „Open Society Fund Lithuania“ (lit._ Atviros Lietuvos Fondas, kurz: ALF) und fungierte von 1990–1993 als stellvertretende Vorsitzende des Stiftungsrates. Hier und auch als Vorsitzende des Stiftungsrates, den sie 1993– 2000 innehatte, entwickelte sie Visionen  für die Entwicklung und Förderung von Kultur und Bildung in der nun freien Gesellschaft. Analytisch genau konnte sie die zivilgesellschaftlichen Defizite benennen und vermochte es gemeinsam mit ihren Mitarbeitern innovative Programme zu entwickeln um Fördermittel gezielt einzusetzen. Dazu gehörte auch ein großes Übersetzungs-und Publikationsprogramm, um die damaligen bereits benannten Defizite auszugleichen und europäische Diskurse stärker in der frisch postsowjetischen Republik bekannt zu machen. Innerhalb des bereits genannten Programms wurde eine bemerkenswerte Reihe  herausragender Werke deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Historiker, Philosophen und Kulturwissenschaftler ins Litauische übersetzt.

Eines der weiteren Projekte, und hier lässt sich nur eins exemplarisch benennen, das Irena Veisaitė mit großem Engagement von Beginn an sowohl mit persönlichem Engagement als auch mit Hilfe institutioneller Verbindungen förderte, war die Entstehung des Thomas-Mann-Kulturzentrums im ehemaligen Sommerhaus des Schriftstellers, das ab 1995 als deutsch-litauisches Kulturzentrum seine Türen öffnen sollte. Neben ihren zahlreichen Aufgaben in der Stiftung war Irena Veisaitė auch im Gründungskuratorium des Kulturzentrums aktiv und leitete später zwischen 1998 und 2002 mehrere Jahre tatkräftig das Kuratorium.

Professor Veisaitė argumentierte mit großer Überzeugungskraft gemeinsam mit anderen litauischen Wissenschaftlern für die Einrichtung eines eigenen Goethe Instituts in Vilnius und leistete bei der Installierung des Goethe-Instituts 1998 große Unterstützung.

Sie hat in  den letzten beiden Jahrzehnten darüber hinaus in unzähligen Institutionen ehrenamtlich aktiv mitgearbeitet, so als Mitglied des Litauischen Nationalkomitees der UNESCO, des Kulturrates des Litauischen Kulturministeriums und des Komitees „Vilnius-Europäische Kulturhauptstadt 2009“

As litauische Jüdin, die unter der nationalsozialistischen Besatzung viele Angehörige verloren hat und verfolgt wurde, setzt sie sich seit Jahren stark für die Aufarbeitung des Holocaust ein. Unermüdlich ist sie ebenfalls für Versöhnung und den Dialog mit Deutschland tätig. Sie hat sich große, langjährige und bleibende Verdienste im deutsch-litauischen Kulturaustausch erworben.

Ruth Leiserowitz, Vilnius, den 23. Juni 2020