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21. TM-Festival

Programm 15.-22. Juli 2017

Festival-Abschlussrede am Abendkonzert (Auszüge)

in der Evangelischen Kirche Nida
22. Juli 2917 

Zum vierten Mal haben wir uns unter dem Motto unseres Festivalzyklus getroffen, das da lautet: „Das Erbe der Moderne. 100 Jahre nach dem Großen Krieg“. In diesem Jahr stand die Erinnerung an die Ereignisse des Jahres 1917 im Mittelpunkt und bei dieser Jahreszahl haben wir sofort an die Oktoberrevolution gedacht, die als wohl folgenreichstes Ereignis jenes Jahres in der kollektiven Erinnerung verhaftet ist

Auf unserem Festivalkatalog hat wie nun schon einige Jahre zuvor ein kleines Flugzeug Platz gefunden. Es ist nicht zufällig dort platziert. Aus einer Graphik von Bertha Schütz, einer Künstlerin, die sich damals in Nidden aufhielt, wissen wir, dass derartige Kriegsflugzeuge  1915 bereits über dem Kurischen Haff zu sehen waren. Diese Flugzeuge waren ein neues, vorher unbekanntes Phänomen. Für viele Landbewohner waren sie Dinge, die außerhalb ihrer Vorstellungskraft lagen. Ihr Erscheinen wurde als modern bezeichnet, aber trug auch Angst und Gefahr mit sich, da diese Flugzeuge ein Teil des Kriegsgeschehens waren. Flugzeuge waren damals etwas sehr ambivalentes. Sie strahlten Faszination und Gefahr gleichzeitig aus. 

Ähnlich verhielt es sich mit der Oktoberrevolution. Sie war ein neues Phänomen und die damit verbundenen Geschehnisse lagen für viele Zeitzeugen außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Befürworter der Revolution unterstrichen sie als Teil des Aufbruchs in die Modernität, aber sie brachte auch Angst und viele Gefahren mit sich, vertrieb viele Bürger, Kunst-und Kulturschaffende aus dem Land und hatte unübersehbare dramatische Spätfolgen. Wir haben die musikalischen Werke der Komponisten gehört, die ins Exil gingen, einige ihrer farbenfrohen  Gemälde gesehen, wie die von Veriovkina.  Wir haben  über die Folgen von 1917 diskutiert und die eher nicht gepflegte Erinnerung an die Ereignisse.  Gerade gestern haben wir dann auch über die Aufgaben eines Schriftstellers in der heutigen Zeit nachgedacht.       

Die Geschichte der „Büchse der Pandora“, die als Motto unseres Festivals diente, hat schon in der Vergangenheit Kontroversen ausgelöst. Einige behaupteten nämlich, die Büchse sei ein zweites Mal geöffnet worden, um die „Hoffnung“, die als letztes Element dort verblieben war, auch unter die Menschheit zu streuen. (Ich werde Sie nicht mit den verschiedenen sich widersprechenden Varianten über die Rolle der Hoffnung in oder außerhalb der Büchse verwirren oder langweilen.) Ich weise einzig darauf hin, dass sie der Begriff ist, der uns zu dem letzten, dem 5. Festival innerhalb unseres Zyklus im Jahr 2018 führen wird. Wir werden den Aufbruch neuer Perspektiven nachzeichnen, wenn wir über das Ende des Krieges, die Ausrufung der Republik Litauen und die weiteren Veränderungen besonders im östlichen Europa sprechen werden.     

Dazu lade ich Sie heute schon herzlich ein, zu unserem 22. Thomas-Mann-Festival, das wir an dieser Stelle am 14. Juli 2018 eröffnen wollen.  

Ruth Leiserowitz

21. Thomas-Mann-Festival 2017
„Die Büchse der Pandora?“

Im Rahmen des fünfjährigen Festivalzyklus unter dem Motto „Erbe der Moderne, 100 Jahre nach dem Großen Krieg“Überall fanden die Ereignisse der russischen Revolution 1917 und deren Auswirkungen ihren Niederschlag Die Revolution bewirkte zuerst auch einen Aufbruch in der Kunst und inspirierte Künstler und Kulturschaffende in ganz Europa. Gleichzeitig wurde das Wertesystem der etablierten europäischen Gesellschaften vor gänzlich neue Herausforderungen gestellt. Ein Bespiel dafür waren die Künstler der 1918 gegründeten Novembergruppe, zu deren Gründungsmitgliedern Max Pechstein gehörte und in denen sich u.a. auch der Maler der Niddener Künstlerkolonie Oskar Moll und der Architekt Erich Mendelsohn engagierten. Sie, die sich selbst als radikal und revolutionär bezeichneten, wollten Kunst und Volk vereinigen, sowie Einfluss auf öffentlich kulturelle Aufgaben nehmen.

Über die Ereignisse des Jahres 1917 äußerten sich viele Schriftsteller in äußerst bildhafter Sprache. Stefan Zweig formulierte, dass ein Geschoß eingeschlagen sei und ein Reich, eine Welt zertrümmert habe, Gerhart Hauptmann notierte: „Etwas Ungeheures hat sich ereignet. Eine Erneuerung. Eine Umwälzung. Die Massen treiben mehr.“ Und Thomas Mann ließ wenige Jahre später seinen Helden Serenus Zeitblohm bedeutungsvoll sagen: „Die russische Revolution erschütterte mich […].“ 

In der Rückblende scheint es, dass die Welt von gestern tatsächlich massiv erschüttert wurde. War die Revolution von 1917 etwa die Büchse der Pandora, aus der die fundamentalen Irrtümer des 20. Jahrhunderts kamen? Oder hatten die Aufbrüche in allen Teilen der Gesellschaft, die neuen Formen in Bildung und Kultur, die nationalen und politischen Befreiungsbewegungen einen einmaligen Charakter? Schließlich breitete sich der Kommunismus als Ideologie und Herrschaftsform aus. Heute wird oft mit nostalgischem Blick darauf zurückgeschaut und vergessen, wie viele Spuren die lange kommunistische Diktatur hinterlassen hat, wie viele Brüche in den Lebenswegen stattfanden. In dem reichen musikalischen Programm schwingen als Subtext die Lebenswege der Komponisten mit, die in vielen Fällen in der Folge oder den Spätfolgen der Revolution ihr jeweiliges Heimatland verließen.

Das Festivalprogramm des Sommers 2017 will Zuhörer und Zuschauer einerseits in Kunst und Musik auf Spuren der damaligen Veränderungen locken und andererseits auch fragen, wie Menschen mit derart großen Herausforderungen umgehen und grundlegende Systemwechsel überstehen. 

PS. Das Thema der Büchse der Pandora figuriert in den Lebenserinnerungen der Mannkinder Erika, Klaus und Golo. Von allen wird in verschiedenen Nuancen erzählt, dass sie gerade eine selbstverfasste Theateraufführung im Sommer 1914 im damaligen Sommerhaus der Familie in Bad Tölz geplant hatten, als die Nachricht von der Kriegserklärung eintraf. Die Darstellung wurde abgesetzt und die Kinder erinnerten sich, dass der Vater Thomas Mann gesagt habe, dass nun bald ein blutiges Schwert am Himmel erscheinen werde. Der Historiker Jörn Leonhard hat diese Episode an den Anfang seiner Geschichte des Ersten Weltkrieges gestellt.

Programm

15. Juli (Samstag)

Abend Evangelische Kirche Nida
Eröffnung des Festivals durch den Schirmherren und Präsidenten a.D. Litauens Valdas Adamkus und den Bürgermeister von Neringa, Darius Jasaitis 
Eröffnungskonzert
Ludwig van Beethoven (1770–1827) Klaviertrio Es-Dur, op. 1 Nr. 1 (1795)
Premiere der Auftragskomposition für das Festival von Diana Čemerytė (1974*) „Briefe: Venedig–Nida“
Arvo Pärt (1935*) „Mozart-Adagio“ für Viioline, Violoncello und Klavier (1992)
Interpreten:
Klaviertrio „FortVio“: INDRĖ BAIKŠTYTĖ (Klavier), INGRIDA RUPAITĖ (Violine), POVILAS JACUNSKAS (Violoncello), Kammerchor„Aidija“ (Leiter ROMUALDAS GRAŽINIS) 

16. Juli (Sonntag)

Nachmittag Thomas-Mann-Haus Wortprogramm
Treffen mit dem Autor MANFRED FLÜGGE (Deutschland)
Lesung aus: Das Jahrhundert der Manns (Moderation: RUTH LEISEROWITZ)  Link zum Interview

Nida Art Colony der Kunstakademie Vilnius
Eröffnung der Ausstellung „Meeresspiegel“
(Kuratorinnen: SUZA HUSSE und EMMA HAUGH)

Abend Evangelische Kirche Nida
Stunde der litauischen Musik die Absolventen des Klaipėdaer Konservatoriums: Juozas Pakalnis und Jeronimas Kačinskas
Juozas Pakalnis (1912–1948) „Rauda“ [Klage] für Flöte und Klavier (1946),
„Svajonė“ [Traum] für Flöte und Klavier (1943), 
„Šokis su lanku“ [Tanz mit einem Bogen] für Flöte und Klavier (1942) 
Jeronimas Kačinskas (1907–2005) Teil I und III aus dem Zyklus „Atspindžiai“ [Reflexionen] für Klavier (1957)
Lieder für Chor von Juozas Pakalnis und Jeronimas Kačinskas
Interpreten:
VYTENIS GURSTIS (Flöte), DAUMANTAS KIRILAUSKAS (Klavier), Kammerchor„Aidija“ (Leiter ROMUALDAS GRAŽINIS) 

17. Juli (Montag)

Geschichtsmuseum der Nehrung
Ausstellungseröffnung, „Reiterin des Expressionismus Mariana Veriovkina” 
Einführung: LAIMA LAUČKAITĖ

Abend Evangelische Kirche Nida
Das Jahrhundert der Manns 
Paul Hindemith (1895–1963) Drei Stücke für Violoncello und Klavier, op. 8 (1917)
Luigi Dallapiccola (1904–1975) „Sonatina canonica su Capricci di Niccolò Paganini“ für Klavier (1946)
Frank Bridge (1879–1941) Klaviertrio „Phantasie“ c-Moll, H. 79 (1907)
Interpreten:
ROBERT GROD (Violoncello, Deutschland), EUGENIJUS ŽARSKUS (Klavier),HAN-GYEOL LIE (Klavier, Deutschland–Österreich)Klaviertrio „FortVio“: INDRĖ BAIKŠTYTĖ (Klavier), INGRIDA RUPAITĖ (Violine), POVILAS JACUNSKAS (Violoncello),

Kinonächte im Kulturzentrum „Agila“ gefördert vom Goethe Institut Vilnius
Spielfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“, (Regie: Lotte Reiniger) Animationsfilm, 1926, Deutschland, 68 min. Darbietung mit Livemusik von THOMAS KÖNER (Deutschland)

18. Juli (Dienstag)

Nachmittag Thomas-Mann-Haus Wortprogramm
Begegnung mit dem Historiker NERIJUS ŠEPETYS (Litauen)
(Moderation: ANTANAS GAILIUS)

Abend Evangelische Kirche Nida
Festivaldebut Johann Sebastian Bach (1685–1750) Siute für Violoncello Nr. 5 c-Moll, BWV 1011
Francis Poulenc (1899–1963) Sonate für Flöte und Klavier, FP. 164 (1956–1957)
Bohuslav Martinů (1890–1959) Trio für Flöte, Violoncello und Klavier, H. 300 (1944)
Interpreten:
VYTENIS GURSTIS (Flöte), ROBERT GROD (Violoncello, Deutschland), EUGENIJUS ŽARSKUS (Klavier) 

Kinonächte im Kulturzentrum „Agila“  gefördert vom Goethe Institut Vilnius
Spielfilm „Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika“, (Regie: Maria Schrader), 2016, Deutschland, Frankreich, 106 Min., 

19. Juli (Mittwoch)
Nachmittag Thomas-Mann-Haus Wortprogramm
Begegnung mit dem Journalisten und Politkommentator KONSTANTIN VON EGGERT (Russische Föderation)
(Moderation: VYTAUTAS BRUVERIS) 

Gemeindehaus der Katholischen Gemeinde
Ausstellungseröffnung. „Auf der Suche nach dem wunderbaren Land. Wege des Kulturtourismus von der Niddener Künstrlerkolonie bis zu Pranas Domšaitis“ Bilder und Grafiken aus der Sammlung von ALEKSANDRAS POPOVAS (Klaipėda), Kuratorin: KRISTINA JOKUBAVIČIENĖ

Abend Evangelische Kirche Nida
Zusammenspiel der Jahrhunderte
Jean-Philippe Rameau (1683–1764), Aus der Sammlung „Pièces de clavecin“ 
Maurice Ravel (1875–1937), Suite für Klavier „Le Tombeau de Couperin“ 
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), Sonate für Klavier zu 4 Händen D-Dur KV 381 (123a) Interpreten: HAN-GYEOL LIE (Klavier, Deutschland-Österreich), DAUMANTAS KIRILAUSKAS (Klavier)

Kinonächte im Kulturzentrum „Agila“ 
Spielfilm „Marie Curie“, (Regie: Marie Noëlle), 2016, Frankreich, Polen, Deutschland, 100 Min.

20. Juli (Donnerstag)

Nachmittag Thomas-Mann-Haus Wortprogramm
Treffen mit den Siegern des Essay-Wettbewerbs: VAIDA AMBRASAITĖ,ERNESTA DAMBRAUSKAITĖ und ALEKSANDRAS BUROKAS
(Moderation: LAURYNAS KATKUS)

Künstlerhaus Virginija und Kazimieras Mizgiris
Eröffnung der Ausstellung „Sichtbarkeit“ der Künstler AURELIJA ŠIMKUTĖ und GEDIMINAS ENDRIEKUS 

Abend Evangelische Kirche Nida
Die Ergebnisse der Oktoberrevolution und das Schaffen der russischen Komponisten 
Aleksandr Glazunov (1865–1936) Streichquartett Nr. 5 dMoll, op. 70 (1898)
Aleksandr Čerepnin (1899–1977) Sonate für Vilonie und Klavier in F, op. 14 (1921–1922)
Aleks Alfred Schnittke (1934–1998) Suite im alten Stil für Violine und Klavier (1972)
Interpreten:
Kaunas-Quartett: KAROLINA BEINARYTĖ-PALEKAUSKIENĖ (I. Violine), AISTĖ MIKUTYTĖ (II. Violine), EGLĖ LAPINSKĖ (Viola), SAULIUS BARTULIS (Violoncello), INGRIDA ARMONAITĖ (Violine), UGNĖ ANTANAVIČIŪTĖ (Klavier), Kammerchor„Aidija“ (Leiter ROMUALDAS GRAŽINIS)

21. Juli (Freitag)

Nachmittag Thomas-Mann-Haus Wortprogramm. 
Treffen mit der Schriftstellerin  Olga Tokarczuk  (Polen)
Moderation: KORNELIA KUROWSKA

Abend Evangelische Kirche Nida
Festivaldebut
Franz Danzi (1763–1826) Bläserquintett G-Dur, op. 67 Nr. 1 (1824)
Carl Nielsen (1865–1931) Bläserquintett, op. 43 (1922)
György Ligeti (1923–2006) „Sechs Bagatellen“ für Bläserquintett (1953)
Interpreten:
Holzbläserquintett der Litauischen Musik und Theaterakademie: DOMINYKA ŠEIBOKAITĖ (Flöte), LINAS ŠALNA (Oboe), JONAS MORKŪNAS (Klarinette),INDRĖ KULEŠEVIČIENĖ (Waldhorn), MARTYNAS MAŽEIKA (Fagott) 

Kinonächte im Kulturzentrum „Agila“ 
Spielfilm „Das weiße Band“, (Regie: Michael Haneke), 2009, Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien, 144 Min. Freigegeben ab 16 Jahren

22. Juli (Samstag)

Abend Evangelische Kirche Nida
Abschlusskonzert
Franz Schubert (1797–1828), Das Werk wird noch bekanntgegeben.
Ludwig van Beethoven (1770–1827) Streichquartett Nr. 12 Es-Dur, op. 127 (1823–1824)

Interpreten:
Kaunas-Quartet: KAROLINA BEINARYTĖ-PALEKAUSKIENĖ (I. Violine), AISTĖ MIKUTYTĖ (II. Violine), EGLĖ LAPINSKĖ (Viola), SAULIUS BARTULIS (Violoncello), INGRIDA ARMONAITĖ (Violine), UGNĖ ANTANAVIČIŪTĖ (Klavier), Kammerchor „Aidija“ (Leiter ROMUALDAS GRAŽINIS)

Organisatoren
THOMAS-MANN KULTURZENTRUM Skruzdynės g. 17 Neringa 93123 mann@mann.lt wwww.mann.lt

Schirmherren des Festivals:
Valdas Adamkus, Litauischer Präsident a. D., UNESCO Botschafter des Guten Willens, 
Litauische nationale UNESCO-Kommission

Partner des Festivals:
Museen von Neringa
Goethe Institut Vilnius
UAB „Papyrus Lietuva“
VDA Nida Art Colony 
Nidos KTIC „Agila“

Sponsoren des Festivals:
Litauischer Kulturrat
Verwaltung von Neringa
UAB BaltTours
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Förderverein Thomas-Mann-Haus e.V.